
Betreuungsgeld kommt, Aus für Praxisgebühr
Geben und Nehmen im Kanzleramt
Es war die mittlerweile gewohnt langwierige Prozedur: Sieben Stunden haben die Spitzen der Koalition im Kanzleramt um Kompromisse in Streitfragen gerungen, die das Klima zwischen Schwarz-gelb seit Monaten erheblich belastet haben. Am Ende gab, ein Jahr vor der Bundestagswahl, jeder ein bisschen nach und bekam dafür seine Lieblings-Projekte durch – Geben und Nehmen im Kanzleramt.
Die Kompromisslinien hatten sich schon den Tag über abgezeichnet. Die CSU erhielt endlich das ersehnte grüne Licht für das Betreuungsgeld. Es soll nun zum 1. August 2013 eingeführt werden – später als zunächst vorgesehen, aber immer noch vor den bayerischen Landtagswahlen im Herbst kommenden Jahres.

- Koalition einigt sich auf Lösungen in zentralen Streitfragen ARD Morgenmagazin 06:00 Uhr, 05.11.2012 [Axel John, ARD Berlin]
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Um den hartnäckig vorgebrachten Widerwillen der FDP zu brechen, musste die CSU aber einer sogenannten Bildungskomponente zustimmen. Wer auf die Barauszahlung von zunächst 100 und dann später 150 Euro verzichtet und das Geld stattdessen zur privaten Altersvorsorge oder für die Ausbildung der Kinder anlegt, bekommt einen zusätzlichen Bonus von 15 Euro pro Monat.
Der Streit um die von Kritikern als „Herdprämie“ verspottete Betreuungsgeld hatte sich in den vergangenen Monaten zu einer massiven Belastung für die Koalition entwickelt, in der von der CSU deutlich mit dem Koalitionsvertrag gewinkt und damit indirekt mit dem Ende der Koalition gedroht wurde.
FDP entlastet Patienten und Ärzte
Die FDP erhielt im Gegenzug das Plazet für ihr Lieblingsprojekt: die Abschaffung der Praxisgebühr. Die vierteljährliche Zuzahlung beim Arzt- bzw. Zahnarztbesuch soll schon zum 1. Januar 2013 ersatzlos gestrichen werden. Für die Versicherten bedeutet das eine Entlastung von zwei Milliarden Euro pro Jahr. Diese Summe wird dann den gesetzlichen Krankenkassen fehlen. Deshalb soll der Krankenkassenbeitrag nicht gesenkt werden. Das hatte ursprünglich die CSU angestrebt.
Die CDU wiederum konnte nach dem Ende der Beratungen ein kleines Zugeständnis bei der Bekämpfung der Altersarmut vorweisen. Die Koalition einigte sich darauf, die Rente von Geringverdienern aus Steuermitteln aufzustocken. Das soll denjenigen zu Gute kommen, die auch nach 40 Beitragsjahren und privater Zusatzvorsorge noch unterhalb der Grundsicherung von 688 Euro liegen. Einen großen Betrag dürfen sie aber nicht erwarten – vermutlich wird ihre Rente am Ende dann zehn bis 15 Euro über der Grundsicherung von 688 Euro liegen. Ohnehin dürften nur zwei Prozent der Geringverdiener den Aufschlag erhalten – das lässt die Belastung für den Etat in überschaubarem Rahmen.
Keine Fortschritt gab es dagegen bei der besseren Anrechnung der Kindererziehungszeiten von Müttern in der Rente; dieses – deutlich teurere Vorhaben – soll weiter geprüft werden.
Hintergrund

Ramsauer erhält mehr Geld
Die CSU durfte sich am Ende der Nacht über ein weiteres Zugeständnis freuen. Das von ihr geleitete Verkehrsministerium soll noch einmal 750 Millionen Euro bekommen, um damit Neubauprojekte zu finanzieren – eine kleine Spritze in Zeiten nachlassender Konjunktur.
Trotz dieser gaben will die Koalition als solide Wirtschafter präsentieren. Zu diesem Zweck will man für 2014 einen Haushalt ohne strukturelle Neuverschuldung vorlegen. Bedeutet, dass Einmalzahlungen wie etwa für den auslaufenden Euro-Rettungsschirm ESM oder Konjunkturschwankungen aus dem Haushalt herausgerechnet werden. Ferner wollen Union und FDP den Zuschuss für den Gesundheitsfonds zunächst um 500 Millionen und 2014 um zwei Milliarden Euro kürzen.
Nachtisch verlängert Beratungen
Männer der Tat: Generalsekretäre Döring, Gröhe und Dobrindt stellen die Ergebnisse des Treffens vor. An welchen Punkten sich die Verhandlungen als kompliziert erwiesen hatten, wollte am Ende naturgemäß kein Koalitionsvertreter verraten – CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt schob es launig auf das komplizierte Zahlenwerk und auf den Nachtisch, den man ausgiebig „strapaziert“ habe. Sein Amtskollege Hermann Gröhe hielt dagegen die gängigen Formulierungen für ein solches Ereignis vor – man habe sich auf „gute Entscheidungen“ verständigt.
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen ließ noch in der Nacht erklären, der Kompromiss zu Altersarmut entspreche weitgehend der von ihr propagierten und von der FDP entschieden bekämpften Zusatzrente. Ein Kabinettsbeschluss sei noch im November möglich.
Erst Kuhhandel, dann hinter die Fichte
Wenig gnädig fiel schon vorab das Urteil der Opposition über den Koalitionsausschuss aus. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier beschwerte sich im „Bericht aus Berlin„, „um Herrn Rösler und anderen das Leben noch ein bisschen zu verlängern“, würden im Kanzleramt „einige Kuhhandel“ vereinbart. Eine ganze Bevölkerung werde dabei „hinter die Fichte geführt“.
Die SPD will nun gegen das Betreuungsgeld klagen – das hatte zuvor schon Generalsekretärin Andrea Nahles angekündigt. Die Grünen erwägen ebenfalls, gegen die Prämie vor Gericht zu ziehen.